Auszug Stenografenprotokoll
Sehr geehrter Herr Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ein bisschen haben mir die einreichenden Fraktionen eine schlaflose Nacht bereitet, ich habe immer überlegt: Was wollen sie eigentlich mit dem Tagesordnungspunkt 25 Jahre Deutsch-Polnisches Jugendwerk?
Das, was drauf steht. Ich habe in der Rede von Herrn Ursu gehört, dass es darum geht zu sagen, was wir alles prima gemacht haben, und ich bin meinem Vorredner sehr dank-bar, dass er wenigstens auf den Kern zurückgekommen ist: das im Antrag stehende Deutsch-Polnische Jugendwerk. Es ist tatsächlich eine 25-jährige Erfolgsgeschichte, die wohl kaum jemand von den demokratischen Fraktionen in diesem Hause infrage stellen wird.
Am 17. Juni 1991, als wirkliche Europäer die beiden Außenminister waren Europäer, wie wir sie heute viel dringender bräuchten auf Anregung des damals schon existierenden Deutsch-Französischen Jugendwerkes, das Deutsch-Polnische Jugendwerk gründeten, war ihnen wohl klar, was sie da schaffen.
Es geht letztlich darum, tatsächlich Millionen von Jugendlichen das Nachbarland näher-zubringen. Es ist gelungen die Zahlen sind gerade genannt worden -, Hunderttausende von Jugendlichen in das jeweilig andere Land zu bringen. An dieser Stelle sage ich es sehr deutlich: Wenn Jugendliche, ich habe als junger Mensch in Görlitz durchaus auch von diesem Deutsch-Polnischen Jugendwerk profitiert, das Nachbarland mit Fahrrädern erkunden, dann ist das allemal besser, als wenn sie es mit Panzern erkunden.
Das hat auch mit dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk zu tun.
Ich glaube, dass wir mit diesem Jugendwerk einen Beitrag leisten wie mit anderen Initia-tiven auch, die nicht in einen Fördergenuss gekommen sind, die sich aber seit Jahren damit beschäftigen, wie man es hinbekommt, dass wir miteinander und nicht nur übereinander reden, dass vielleicht der eine oder andere Polenwitz auf deutscher Seite am Stammtisch verschwindet, weil er schlicht plump und rassistisch ist und eigentlich nicht mehr an den Stammtisch gehört, und dass Vorurteile abgebaut und nicht bekräftigt wer-den. Viele kleine Initiativen haben das tagtäglich in ihrer Arbeit gemacht. Das Deutsch-Polnische Jugendwerk hat seinen Teil dazu beigetragen. Heute brauchen wir diese Grundlage, heute, wo Europa tatsächlich gerade einen Rechtsruck erlebt, wo das Modell Europa infrage gestellt wird und wo Nationalisten tatsächlich wieder die Oberhand zu gewinnen scheinen.
Auch wenn es an dieser Stelle vielleicht abwegig klingt, aber auch mein Vorredner hat es gesagt: Ich hoffe, dass wir heute in England, in Großbritannien eine Entscheidung finden, die proeuropäisch ist, die Ja zur Europäischen Union sagt, und ich hoffe, das gebe ich auch offen zu, dass die Kräfte in Polen, die unter anderem in meiner Nachbarschaft, in Zgorzelec, erst vor Kurzem demonstriert haben, nämlich mit Europafahnen in der Hand, für ein demokratisches und freies Europa, tatsächlich gewinnen.
Alles andere, das Zurück zum Nationalstaat, wie es in Polen gerade von der polnischen Regierung trotz Bekundungen zum jetzigen Besuch der Kanzlerin immer wieder hervorgebracht wurde, wie wir es in der alltäglichen Praxis erleben, wollen wir nicht.
Herr Ursu hat die positiven Dinge erwähnt und gesagt, wir dürfen die anderen nicht vergessen. Wir erleben aber gerade, wie Menschen abgezogen werden, die sich für die deutsch-polnische Versöhnung eingesetzt haben. Wir sehen gerade, wie auf polnischer Seite ganze Führungsebenen bei Polizei, Verbänden und Ähnlichem ausgetauscht wer-den, und das nicht nur, weil das Parteibuch das Falsche ist, sondern auch weil der politische Ansatz falsch ist.
Es ist unsere Verantwortung, dass wir jetzt die Kräfte stärken, die dagegenhalten. Gerade die jungen Menschen, denen es mittlerweile egal ist, ob es ein polnischer oder ein deutscher Freund ist, die selbstverständlich die gemeinsame Sprache sprechen und die selbstverständlich ihre Freizeit gemeinsam gestalten, genau diese Jugendlichen sind die Basis, auf die wir aufsetzen können, wenn es darum geht, einen europäischen Gedanken weiterzubringen.
2. Teil Rede
Herr Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe gerade überlegt, wie nachdenklich wir selber sein sollten, auch anlässlich eines solchen Feiertages. Es ist nicht so, dass die deutsche Seite und hier wurde gerade an den Kniefall von Willy Brandt erinnert nicht auch einen Lernprozess durchgemacht hätte, der vor 25 Jahren in diesem Vertrag geendet ist. 1950 wurde in Görlitz oder korrekterweise in Zgorzelec im Dom Kultury der damalige Vertrag zwischen Polen und der DDR unterschrieben. 1969 bzw. 1970 war das für die alte Bundesrepublik noch nicht selbst-verständlich.
1990 hatten wir die Chance, nicht nur durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag, sondern auch durch die Unterzeichnung von Grenzverträgen, endlich einen Schlussstrich unter eine Debatte zu führen, die beiden Seiten nicht gut getan hat. Die eine, weil sie ständig in der Ungewissheit lebte, ob das große Deutschland neben ihm nicht doch etwas wiederha-ben will, was ihm nicht mehr gehörte, was aber einmal durchaus dem deutschen Staatsgebiet zugehörig war, was aber in Folge des 2. Weltkrieges, den die Deutschen begonnen haben und auch da ist es richtig, heute noch einmal an den Überfall auf die Sowjetunion zu erinnern dann an Polen gegangen ist. Auch die Polen haben Gebiete an ihrer Ostseite an die Sowjetunion übertragen müssen.
Diese Angst schwang bei vielen polnischen Menschen mit. Aber auch die Arroganz, die so manche deutsche Vertriebenenvertreter im Umgang mit Polen an den Tag gelegt hatten. Eine große Chance war dieser Vertrag.
Ich möchte die letzten drei Minuten dazu nutzen, eine ganz persönliche Geschichte
Ich wurde 1974 in Görlitz geboren. 1980 daran können sich vielleicht einige erinnern – gab es die Solidarnosc, es herrschte Kriegsrecht, und die Grenzen wurden geschlossen. Mein Bruder, der 15 Jahre älter ist, konnte noch vor 1980 relativ frei über diese Grenze gehen. Ich habe diese Grenze so erlebt, dass ich einen Passierschein von meiner Schule brauchte, um an die Partnerschule zu gehen. Einmal im Jahr fand ein Friedenslauf statt. Da konnte man ohne Kontrolle über die Grenze hinüber als Freundschaftslauf. Dann kam das Jahr 1990. Das Jahr 1990 hieß, die Außengrenze der Europäischen Union ging an der Oder-Neiße entlang.
Was wir da erlebt haben vielleicht kann sich mancher daran erinnern, hieß „Taxifahrer Prozesse“.
Es gab Flüchtlinge, die sozusagen bei dem Versuch, diese Grenze zu überschreiten, auch ums Leben gekommen sind.
Dann kam das Jahr, in dem Polen dem Schengener Abkommen beigetreten ist und die Grenzen geöffnet wurden. Für mich war das ein Riesentag. Ich werde auch alles dafür tun, dass das heute nicht wieder infrage gestellt wird, weil man glaubt, dass national-staatliche Grenzen irgendetwas mit Sicherheit zu tun haben.
Ich will Ihnen eine kleine Geschichte aus dem Europa-Marathon erzählen, der vor kurzem stattfand. Da sollten junge Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, um sich in Sicherheit zu bringen unbegleitete Jugendliche auf Wunsch eines Trägers mitlaufen. Der Europa-Marathon geht über beide Grenzen. Die polnischen Sicherheitsorgane haben darauf hingewiesen, dass, wenn diese unbegleiteten Jugendlichen polnischen Boden betreten, Gefahr laufen, verhaftet und in ihre Heimatländer abgeschoben zu werden, weil sie in Polen keine Aufenthaltsgenehmigung hatten. Das ist eine Ent-wicklung, bei der ich an die Politik appelliere, dass wir darüber reden müssen, wie wir das nicht zur allgemeinen Praxis werden lassen und wie wir nicht zu der Praxis kommen, dass dichte Grenzen irgendetwas sichern könnten. Wir dürfen auch nicht glauben, dass wir, wenn wir noch mehr Videokameras an Grenzübergänge schrauben, ein Signal der Verständigung setzen.
Heute begehen wir hier in der Aktuellen Stunde die 25 Jahre Deutsch-Polnisches Jugendwerk. Wir sollten uns an den positiven Beispielen dieses Jugendwerkes ein Beispiel nehmen und immer hinterfragen, ob das, was wir tun, tatsächlich auf der polnischen Seite auch als Freundschaft verstanden wird.